Es rumort in Brandenburg/Havel und Umgebung. Die Chance besteht, dass der seit Jahren umstrittene Anbau von Spargel mit monatelanger Folienabdeckung in Schutzgebieten endlich in Übereinstimmung mit den Gesetzen geregelt wird. Diese Wende könnte Bedeutung über Brandenburg hinaus und nicht nur für Spargel haben. Wir sind seit Jahren an den Aktivitäten beteiligt und geben einen Überblick.
26.5.2012: Der Beetzsee nördlich der Stadt Brandenburg. Die Spargelfelder - monatelang mit Folien zugedeckt - dehnen sich immer weiter aus, trotz Landschaftsschutz- und EU-Vogelschutzgebiet.
2012 gründen wir in Lünow eine Bürgerinitiative. Die erste Versammlung hat 80 Teilnehmer, darunter auch Abordnungen des Domstifts Brandenburg (Verpächter) und des Domstiftguts Mötzow (Pächter). Obwohl unsere Forderungen anfangs sehr bescheiden sind (weniger Folien!), ist mit diesen Verantwortlichen schon bald nicht mehr zu reden. Das Domstift sagt, selbstverständlich sind sie für die "Bewahrung der Schöpfung", aaaber sie müssten auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Der Pächter ist ein erfahrener Großunternehmer und nicht bereit, auch nur einen Millimeter von seiner Arbeitsweise abzurücken. (Foto vom 11.4.2015)
26.3.2016: Es wird immer schlimmer. Nun verschwindet auch die (schon vorher vegetationslose) Erde zwischen den Spargelreihen unter Folie. Die liegen dort von November bis Mai/Juni. Das Bodenleben geht zurück; die Insekten bleiben aus und mit ihnen die Vögel. Schon ein Gutachten aus 2013 bestätigt, dass seit der Ausdehnung dieses Spargelanbaus 21 Vogelarten im Vogelschutzgebiet "ausgerottet" sind. Mehrere Anfragen im Brandenburger Landtag, was die Regierung dagegen zu tun gedenkt, werden abgeschmettert. Es sei ja nicht nachgewiesen, dass der Spargelanbau daran schuld ist.
12.3.2014: Amtliche Bezeichnung "Heckenpflege", macht der Spargelproduzent fast jedes Frühjahr. Die Spargelfelder samt Fahrwegen werden immer größer und die Hecken immer schmaler.
23.11.2016 bei Klein Kreutz. Der Magerrasen ist beseitigt, tiefe Gräben gezogen und mit einem torfigen "Substrat" gefüllt. Der pH-Wert wird mit Schwefel auf extrem saure 3,9 "eingestellt". Hier soll eine Heidelbeerplantage angelegt werden. Darf Landwirtschaft alles, sogar den Boden (in Schutzgebieten) so gravierend "umbauen"?
Und nun - endlich - ist das Maß voll. Die Stadt Brandenburg geht ab 2017 gegen die vielen Verstöße gegen den Naturschutz vor. Im Moment laufen zwei Verfahren:
Die Stadt verlangt den Rückbau der Heidelbeerplantage, also Entfernung der Setzlinge, der Substrate, der Bewässerungs- und Stromleitungen, Normalisierung des pH-Werts und Anlage des ursprünglichen Trockenrasens. Der Unternehmer unterliegt im Widerspruchsverfahren und auch mit seinen Eilanträgen gegen den sofortigen Vollzug (Beschlüsse VG Potsdam 5.11.2019 und OVG Berlin-Brandenburg 27.3.2020). Die Gerichte folgen den Gründen der Stadt Brandenburg. Der Umbruch von Dauergrünland ist ein erheblicher Eingriff in den Naturhaushalt, der nur unter besonderen Umständen genehmigt werden kann (§ 14 BNatSchG). Auch die sogenannte Landwirtschaftsklausel ("gute fachliche Praxis"), die oft die Landwirtschaft von Regelungen für den Naturschutz freistellt, ist nicht anwendbar. Sie gilt nur für die "tägliche Wirtschaftsweise", zu der Vorbereitungen für die erstmalige Nutzung oder Wechsel der Nutzungsart (wie z.B. Grünland zu Ackerland) nicht gehören. Auf die speziellen Schutzvorschriften (Natura 2000, Vogelschutzgebiet, §§ 31 ff BNatSchG) kommt es gar nicht an, weil die Maßnahmen schon nach den allgemeinen Regelungen (§§ 13 ff BNatSchG) unzulässig waren.
Die zweite Baustelle ist der Spargelanbau auf mehreren 100 ha im Landschafts- und Vogelschutzgebiet. Nach einer Anhörung im April 2020 ordnet die Stadt für die Flächen im Landschafts- und im Vogelschutzgebiet die Beendigung des Spargelanbaus bis zum 1.3.2021 und die Wiederherstellung der Feldwege, -raine und Hecken sowie der früheren Größe der Schläge bis zum 30.11.2021 an. Auf Ackerland sind nur Kulturen mit alljährlichem Fruchtwechsel zulässig. Nach erfolglosem Widerspruch reicht der Unternehmer hiergegen Klage ein (14.1.2021), deren Begründung noch nicht vorliegt. Die Gründe für das Vorgehen der Stadt sind wieder die Eingriffsregelung (§§ 13 ff BNatSchG), die besonderen Schutzvorschriften in Vogelschutzgebieten und "sogar" die Vorschriften zum Landschaftsschutz. Wir schreiben "sogar", weil diese bisher meistens als "Geschmackssache" abgetan wurden - trotz des eindeutigen Wortlauts des § 26 BNatSchG ("... besonderer Schutz ... wegen der Vielfalt, Eigenart und Schönheit ... alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern ...").
Naturschützer kämpfen seit Jahren gegen die stillschweigende Duldung der Spargelindustrie durch die Behörden und fragen, welchen Schutz ein "Schutzgebiet" denn überhaupt bietet. Viele Mitbürger bedauern die Zerstörung der Landschaft. Gleichzeitig wachsen die Zweifel an Rechtsstaat und Demokratie ("Die da oben machen ja doch, was sie wollen" und "Was kann ich schon tun"). Umgekehrt ist die Aufregung bei den Spargelproduzenten und ihrer Lobby groß, sogar verständlich, da das Geschäftsmodell - wenn auch rechtswidrig - jahrelang so gut funktioniert hat. Der Unternehmer hat mit einer Petition erreicht, dass die Zwangsmaßnahmen bis Ende April ausgesetzt sind und in weiteren Verhandlungen sollen "Lösungen" gesucht werden. Wir meinen, dass die "Lösung" nur heißen kann, dass auch Naturschutzgesetze endlich konsequent und gleichmäßig angewendet werden.
Links Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg hier unser Beitrag zur "guten fachlichen Praxis" hier unser Beitrag "Danke EU" hier
Am 28.4.2021 machen die RiffReporter - die Genossenschaft für freien Journalismus eG mit uns ein Interview zu diesem Thema. Sie finden es hier- zugleich mit Zugang zu den interessanten Seiten dieser Ornithologen
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