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Foto R.Sturm/pixelio

 

2018 - Verkehrswende        201807

Warum immer "Wende"?  Weil "weiter so" mit ein paar Änderungen hier und da nicht reicht. Die Aussagen der Wissenschaft werden nicht mehr ernsthaft bestritten. Wir brauchen mehr als "drei Erden", wenn alle Menschen so leben würden wie wir im "reichen Westen" - usw. Und die Uhr läuft. Eine "Wende" auch in der Politik würde alles erleichtern. Endlich handeln - statt ankündigen, Ausschüsse bilden, "forschen", vertuschen ... Wir weigern uns, zu glauben, dass die Mehrheit der Bürger nicht mitmachen würde; die Leute sind nicht so blöd, wie feige und bequeme Politiker glauben.

Ein Erlebnis
 

  • Vor einiger Zeit auf der A 6 Heilbronn-Sinsheim. Wie auf dem Foto: rechts ein LKW am anderen, 30 oder 40 Stück, dann ein paar PKW, deren Fahrer sich vom Stress auf der linken Spur mal kurz erholen wollen, dann wieder LKW's. Aber hinter den LKW's die Lösung: Neben der Autobahn ist der Wald gerodet, die Fläche planiert, kilometerlang. Die Autobahn wird verbreitert. Die Lösung?
     

  • Wir sehen das anders. Die Lösung kann nicht sein: noch mehr Straßen für immer mehr Verkehr, noch mehr Abgase, Lärm und Gestank, noch mehr Fläche verbraucht und Landschaften zerschnitten. 
     

Sondergutachten des SRU

  • Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist ein erstklassig besetztes Gremium, das sich mit sachlich fundierten Gutachten zu Umweltfragen äußert. Die wechselnden Mitglieder werden von der Bundesregierung berufen. Die Gutachten sind sehr kritisch. Was uns immer wieder wundert: Die Empfehlungen werden oft jahrzehntelang nicht beachtet, aber die Regierung besetzt den Rat trotzdem nicht mit Leuten, die für Gefälligkeitsgutachten bekannt sind.  
     

  • Im November 2017 ist das Sondergutachten "Umsteuern erforderlich: Klimaschutz im Verkehrssektor" erschienen; 216 Seiten, davon die ersten 9 Seiten Kurzfassung, nachzulesen hier. Sie kennen unser Motto: Jeder hat das Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Tatsachen. Darum: bitte schauen Sie mal rein.
     

Die Situation

  • Rd. 18 % der Treibhausgasemissionen (THG) in Deutschland entstehen durch den Verkehr. Während die THG-Emissionen seit 1990 insgesamt um rd. 27 % abgenommen haben, sind sie im Verkehrssektor alleine leicht gestiegen.
     

  • Etwa 2/3 dieser Emissionen stammen aus dem Straßen-Personenverkehr (Zugelassene PKW 1990 rd. 30 Mio., 2015 über 45 Mio; Fahrzeuge zwar effizienter; "dafür" aber nicht nur mehr, sondern auch größer, schwerer und schneller.)
     

  • 76 % des Personenverkehrs werden mit PKW abgewickelt; 14 % mit Bus und Bahn. 60 % entstehen durch die täglichen Fahrten der Pendler. 
     

  • Etwa 1/3 der Emissionen des Verkehrssektors entstehen durch den Straßen-Güterverkehr. Dessen Verkehrsleistung ist von 1999 bis 2012 um 27 % gestiegen (stärker als der Personenverkehr).
     

  • Knapp 1/4 des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Verkehr.
     

  • Treibhausgasemissionen in Gramm pro Personen-Kilometer:
         Flugzeug 230 g/Pkm
         PKW         140 g/Pkm
         Reisebus   30 g/Pkm
    und im Güterverkehr in Gramm pro Tonnen-Kilometer:
         Flugzeug 1.550 g/tkm
         Eisenbahn    20 g/tkm

     

  • Gesundheit: 38 % des Nitrats (NOx) stammen vom Verkehr; ferner der größte Teil von Feinstaub und Lärm in den Städten.
     

  • Flächenverbrauch: Bei Verkündung der "Nachhaltigkeitstrategie" (2002) lag der Flächenverbrauch bei 116 Hektar pro Tag (Siedlungen, Industrie, Verkehr). Er sollte bis 2020 auf 30 ha/Tag gesenkt werden; tatsächlich liegt er heute noch bei 61 ha/Tag. Der Verkehr ist daran mit 40 % beteiligt; mit steigender Tendenz besonders im Süden der Republik. Immer "noch mehr" Straßen zerschneiden die Landschaft und die Lebensräume von Menschen, Tieren und Pflanzen.
     

Die Empfehlungen
 

  • ​Der SRU legt keine fertigen Pläne vor; noch weniger könnten wir die hier auf wenigen Seiten wiedergeben. Die wichtigste Empfehlung ist: Statt weiterwurschteln ist es höchste Zeit, mit den nötigen Umbauten endlich anzufangen. Der Klimawandel wartet nicht; die Umstellungen brauchen viel Zeit; Fehlinvestitionen in alte Strukturen könnten vermieden werden; alleine die weiteren Schäden an Gesundheit und Landschaft sind nicht hinzunehmen; der internationale Wettbewerb wartet auch nicht.
     

Themen sind (z.B.):
 

  • Abschaffung umweltschädlicher Subventionen (Seite 127 ff)
    Energiesteuer Diesel ca. 8 Mrd. €; Flugbenzin ca. 7 Mrd. €; Entfernungspauschale/Dienstwagen ca. 5 Mrd. €. Warum gerade der viel gescholtene Diesel gegenüber dem Benzin so begünstigt wird, erschließt sich uns nicht; das Gleiche gilt fürs Flugbenzin. Die "Entfernungspauschale" sehen wir nicht als "Subvention"; denn die Fahrten von und zur Arbeit sind durch die Arbeitsstelle verursacht und die dadurch entstehenden Kosten müssen absetzbar sein. Die steuerliche Absetzbarkeit könnte aber mit zunehmender Größe des Fahrzeugs abgebaut werden.

     

  • Verpflichtende Quoten für Fahrzeuge mit neuen Antrieben; EU-einheitliche CO2-Grenzwerte, deren Einhaltung auch kontrolliert wird; Kfz-Steuer CO2- oder verbrauchsabhängig (132 ff).
     

  • Förderung des Ladesäulennetzes für Elektrofahrzeuge (140 ff); Problem schon lange erkannt, aber bisher wenig getan.
     

  • Elektrische Oberleitungen für schwere LKW auf ca. 4.000 km Autobahn (142 ff); elektro-hybrid; würden ca. 60 % des LKW-Verkehrs erfassen. Finanzieren aus LKW-Maut.
     

  • Maut (150 ff): die bestehenden Regelungen sind hauptsächlich als Beitrag zu Straßenbaukosten gedacht; stärkere Ausrichtung an externen Kosten (THG, Lärm, NOx) wäre nötig.
     

  • Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn (153 ff):  Verdopplung der Geschwindigkeit bewirkt Vervierfachung des Luftwiderstands und damit überproportionale Erhöhung des Verbrauchs, der Abgase, des Lärms usw. Empfehlung: 120 kmh.
     

  • Schiene statt Straße (164 ff): Umweltverträglichkeit der Schiene ist der Straße weit überlegen; trotzdem liegt Deutschland weit hinter anderen vergleichbaren Ländern (z.B. Planung Anteil Güterverkehr bei uns 30 % bis 2050; in Österreich 40 % bis 2025). Bei uns Streckenstilllegungen. Es fehlt an Infrastruktur, Zuverlässigkeit, Komfort. Dabei ist Bundesbahn zu 100 % Staatseigentum. Großes Potenzial.
     

  • Flug- und Seeschiffsverkehr (16,166 ff) Planung bis jetzt nur Verbrennungsmotoren; noch keine alternativen Antriebe in Sicht; ferner Strukturprobleme.

Die Verkehrspolitik

  • Bundesverkehrswegeplan 2030 (153 ff)
    Langfristige Planungen, z.Zt. 2016-2030. Gesamtvolumen 270 Mrd. . Wo - wenn nicht hier - 
     müsste die Verkehrswende angegangen werden? Aber Fehlanzeige. 70 % des Etats sind für Erhaltung und Ersatz reserviert - also 70 % "weiter so"

    Die restlichen 30 % sind für "Aus- und Neubau" geplant; davon 
         66 Projekte Schiene,
         22 Projekte Wasser,
    1.300 Projekte "Straße", davon alleine ca. 500 für Ortsumfahrungen. Die Wahlkreiskandidaten tun etwas "für die Menschen", indem sie den Verkehr zwar nicht reduzieren, aber in den nächsten Wald verlagern.

    Die Klimaschutzziele werden zu wenig beachtet; die wichtigsten Kriterien bei Aufstellung dieses Plans waren "Zeitgewinne" und die "gerechte" Verteilung des Geldes auf die einzelnen Bundesländer ("Proporz").


     

  • Koalitionsvertrag 2018
    In der Einleitung zum Verkehrskapitel dieses Vertrages (Seite 75 ff) kommen Klima- und Umweltschutz nicht vor; es sei denn versteckt hinter "saubere Mobilität". Auf den folgenden Seiten ist das anders; allerdings meist eingeleitet mit "Wir wollen..." und manchmal mit "Wir werden...".  Da aber selbst "Versprechen" der Kanzlerin nichts bedeuten, ist die Ausdeutung dieses Vertrages sowieso müßig.  

    Wo der Vertrag konkreter wird, ist er meistens alarmierend; wie z.B.:

    Zeile 3409 ff: "Planungsbeschleunigung"; für "ausgewählte Projekte" nur noch eine Instanz bei den Verwaltungsgerichten; Verbandsklagerecht "überprüfen"; Wiedereinführung der Präklusion - d.h. Kontrolle durch die Bürger noch weiter einschränken.

    Zeile 3440 ff: "Die Mobilität - und damit die Automobilwirtschaft - stehen aktuell vor enormen Herausforderungen." Ja, so steht es da wirklich: "Mobilität" ist also gleichbedeutend mit "Automobilwirtschaft".

    Zeile 3547 ff: Für den Schienenverkehr sollen bis 2030 "doppelt so viele" Kunden gewonnen werden. Bei dem Anteil der Schiene am Personenverkehr von z. Zt. 7 %  ist dieses "Ziel" lächerlich.

    Zeile 3698 ff: Der Luftverkehr soll "von einseitigen nationalen Kosten... entlastet"; die Flughäfen "bedarfsgerecht" erweitert werden. Also auch da "weiter so"! 

     

  • Antrittsrede Verkehrsminister Scheuer
    Der Anfang seiner Rede am 22.3.2018: "Luftqualität ist Lebensqualität; aber Lebensqualität ist auch Bewegungsfreiheit und Mobilität. Das ist der Kraftstoff einer pulsierenden Wirtschaft."
    Sagt schon alles. Er hielt den Spruch für so gelungen, dass er gleich mehrfach  vorkommt. Sonst nennt er zwar viele der nötigen Stichworte; aber meistens so gekonnt nichtssagend wie in der schönen Rede von Loriot. Dieser fröhliche Verkehrsminister will nur "Weiter so".


     

Links​ zu den vollständigen Texten:

Verkehrsgutachten SRU 2017

Antrittsrede Verkehrsminister Scheuer 2018

30.6.2018 - Der ganz alltägliche Wahnsinn - Neubau der Einmündung einer Straße ohne Nummer (rechts) in die B 102 (links) nahe Brandenburg/Havel

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