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Hubert Pomplun

Bundesverfassungsgericht und Klimaschutz


Ein alter Bekannter - das CO2-Budget Diagramm Rahmstorf/Wikipedia

Am 24.3.2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Beschluss zum Klimaschutzgesetz (KSG) von 2019 gefasst, der als sensationell bezeichnet werden kann. Danach ist das KSG verfassungswidrig und muss bis zum 31.12.2022 nachgebessert werden. Die Pressemitteilung des BVerfG finden Sie hier; von dort gibt es auch Links zum vollen Wortlaut.

Wir halten es für angebracht, verschiedene Punkte hervorzuheben, auch wenn die Presse schon berichtet hat. Und - wie immer - bitte lesen, auch wenn es "Juristenkram" ist. Ohne den geht es nicht.


Die freudige Überraschung Nr. 1

Grundlage für den Beschluss sind das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 2 Grundgesetz, GG), das Staatsziel Klimaschutz (Art. 20a GG) und das von der Wissenschaft so benannte CO2-Budget. Zu letzterem haben wir schon früher ausführlich berichtet (hier). Kurz gesagt: Wenn ein bestimmter Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde nicht überschritten werden soll, dürfen wir nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre blasen. Je später wir anfangen, die Emissionen zu reduzieren, um so radikaler müssen wir das später nachholen.

Das KSG 2019 nennt für jedes Jahr bis 2030 und für jeden Sektor Reduktionsziele - die nach den Vorgaben der Wissenschaft zu niedrig sind. Das BVerfG beanstandet diese aber nicht, weil der Politik ein gewisser Spielraum zugestanden werden müsse. Dass aber für die Jahre nach 2030 überhaupt keine Regelungen getroffen werden, bezeichnet das BVerfG als verfassungswidrig, weil dadurch die Freiheitsrechte der nächsten Generationen zu stark eingeschränkt würden.

Die Pressemitteilung des Gerichts fasst diese Überlegungen so zusammen: "Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde."

Unser Kommentar:

  • Kommt Ihnen diese Forderung bekannt vor? Es ist das, was die jungen Leute von FridaysForFuture seit Jahren fordern; unterstützt von Teilen der Elterngeneration (ParentsForFuture) und der Wissenschaft (ScientistsForFuture). Da unsere Regierenden dem nicht oder nur unzureichend nachkommen, musste jetzt das BVerfG ihnen sagen, was sie zu tun haben.

  • Das Gericht beanstandet nur das Fehlen von Zielvorgaben. Wir meinen, das reicht nicht. Ziele, Pläne, Ankündigungen hat die Politik in den letzten 20 Jahren reichlich produziert - nur zu wenig oder gar nichts für deren Umsetzung getan. Gerade so, wie sie sich jetzt seit Bekanntwerden des Gerichtsbeschlusses mit immer neuen Zielvorgaben überbieten. In das Gesetz gehört nach unserer Ansicht auch hinein - mindestens in groben Zügen - welche Maßnahmen zum Erreichen der Ziele vorgesehen sind und wie diese kontrolliert werden. Auch hierauf haben wir schon hingewiesen (hier). Ernst zu nehmende Schritte in Richtung Klimaschutz sind nun von dieser Regierung in den wenigen Monaten bis zur Bundestagswahl nicht mehr zu erwarten.


Die freudige Überraschung Nr. 2

Nach Art. 20a GG schützt der Staat "die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere", und zwar - auffallenderweise - "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen".

Ansprüche daraus sind jedoch - anders als die Grundrechte (Art. 1-19 GG) - nicht einklagbar, weil Art 20a GG nur ein "Staatsziel" ist. Es soll von Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten beachtet werden, hat aber in der Praxis bisher kaum eine Rolle gespielt. Die Kritiker sprechen von "Verfassungslyrik".

In seinem Beschluss zieht das BVerfG nun aber Art. 20a GG mehrfach als Rechtsgrundlage heran und betont: "Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange ... binden soll."

Danach kann man hoffen, dass die Anforderungen aus Art. 20a GG künftig nicht mehr ein Schattendasein als "Verfassungslyrik" führen, sondern von Politik, Verwaltung und Gerichten als ernstzunehmende Pflichten behandelt werden.


Die freudige Überraschung Nr. 3

Und schließlich tut es gut, vom höchsten deutschen Gericht auch noch Folgendes zu lesen - wieder unter Berufung auf Art. 20a GG: "Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen." Die Stammtische wird das erstmal nicht erreichen. Aber in ernst zu nehmenden Auseinandersetzungen kann nicht mehr argumentiert werden, dass es auf die Treibhausgasemissionen z.B. Deutschlands ja gar nicht ankomme, weil die nur 2 % der globalen Emissionen ausmachen. Das BVerfG geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt fest, dass das Staatsziel (wieder Art. 20a GG) die Bundesregierung verpflichte, sich auch international für den Klimaschutz einzusetzen.


Ausblick

Die Zeichen mehren sich, dass die Klimawende künftig ernsthaft angegangen wird. Die Frage der jungen Aktivisten an die Regierung: "Wenn hunderttausende Demonstranten nichts bewirken - was sollen wir noch tun?" wird von den Gerichten aufgegriffen und mit Urteilen wie dem des BVerfG beantwortet. Zitat RA'in Roda Verheyen (SPIEGEL Wissenschaft vom 26.5.2021: "Wenn die Politik zu lange pennt, dann regeln das die Gerichte."


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