top of page
Suche
  • Hubert Pomplun

Wie ist das mit dem "Nitrat"?


Eines der im Januar 2017 vom Bundesumweltministerium veröffentlichten Plakate, das lt. den Protesten der Agrarlobby einen "ganzen Berufsstand diskriminiert".

Stickstoff (Nitrogenium, N) ist ein sehr vielseitiges Element. Im größten natürlichen Vorkommen (78 Volumen-% der Luft) sind zwei N-Atome zum Molekül N2 verbunden, das mit kaum einem anderen Stoff reagiert. Aber Verbindungen gibt es von der sehr agressiven Salpetersäure HNO3 bis zu den "Bausteinen des Lebens" Protein/Eiweiß, Peptiden, Amino- und Nukleinsäuren.

Nitrate sind "die Salze der Salpetersäure", wie z.B. Natriumnitrat NaNO3 ("Chilesalpeter") oder Kalinitrat KNO3 ("Kalisalpeter"). Im natürlichen Kreislauf kann Stickstoff nur von wenigen Pflanzen (genauer: den Bakterien an ihren Wurzeln) aus der Luft aufgenommen werden, durchläuft die Nahrungskette und wird wieder ausgeschieden. Aus den Ausscheidungen geht er z.T. als Gas wieder in die Atmosphäre oder wird vom Boden aufgenommen oder sammelt sich in Ablagerungen ("Guanofelsen") an. Vor der Industrialisierung wurden stickstoffsammelnde Pflanzen im Zuge des Fruchtwechsels angebaut, damit für die nachfolgende Kultur mehr Stickstoff im Boden war. In der Übergangszeit wurde Stickstoff als "Guano" (Salpeter, s.o.) zugeführt. Bei wachsender Bevölkerung wurde dieser Rohstoff so kostbar, dass es um die Vogelfelsen in Südamerika sogar zu Kriegen kam. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Suche nach einem großtechnischen Verfahren zur Gewinnung des Stickstoffs aus der Luft ("Brot aus Luft"). Zwei deutsche Chemiker entwickelten das nach ihnen benannte Haber-Bosch-Verfahren, das erstmals 1913 bei der BASF zur großtechnischen Anwendung kam. Es ist bis heute das wichtigste Verfahren (Produktion 2013 weltweit 140 Mio. Tonnen Ammoniak (NH3), davon 80 % für Düngemittel). Das Verfahren arbeitet mit sehr hohen Temperaturen und Druck; es verursacht dadurch 1,4 % des Weltenergiebedarfs. Die "künstliche", großtechnische Zuführung von Stickstoff verhindert auch heute noch eine Welthungerkatastrophe. Auf der anderen Seite haben viele Länder dabei jedes Maß verloren, so dass der natürliche Kreislauf die Überdosis nicht mehr aufnehmen kann und hohe Rückstände an Stickstoff (in seinen verschiedenen Verbindungen) sich im Boden, in den Gewässern und in der Atmosphäre ansammeln.

  • Viele Gewässer (Seen, Flüsse, Meere) sind durch zu viel Stickstoff überdüngt und gleichzeitig versäuert. Ein Teil der Organismen stirbt ab; der Prozess beschleunigt sich selber.

  • In der Luft verursachen Stickoxyde und Ammoniak gesundheitsgefährliche Feinstäube ("Dieselgate")..

  • Nitrate im Trinkwasser verteuern die Wasseraufbereitung; zu hohe Konzentrationen können krebserregend sein.

  • Lachgas N2O trägt als hochwirksames Treibhausgas zum Klimawandel bei.

Die Menge der freigesetzten Stickstoffverbindungen hat sich seit dem Beginn der Industrialisierung fast verzehnfacht. Sie stammt zum Großteil aus der Landwirtschaft (Düngemittel und Tierhaltung) und aus der Verbrennung (Stromerzeugung und Verkehr).

  • Beispiel: Die Massentierhaltung - z.B. in Deutschland - steht in keinem Verhältnis zu den Flächen, die hier für die Futtermittelproduktion zur Verfügung stehen. Deshalb wird Futter - z.B. besonders eiweißreiches (d.h. stickstoffreiches) Soja - importiert, etwa aus Südamerika (wo dafür Regenwälder gefällt werden). Der Stickstoff taucht in den Ausscheidungen der Tiere wieder auf (Gülle). Die Gülle wird auf den Feldern ausgebracht - weit mehr, als zur Düngung nötig wäre und auch zu Zeiten außerhalb des Pflanzenwachstums - nur, um sie loszuwerden. Bei nicht fachgerechter Ausbringung ("Prallteller"; gefrorene Böden) verdunstet ein Teil; die an der Oberfläche abfließende Gülle geht direkt in die Gewässer; der von Pflanzen nicht aufgenommene Teil sickert ins Grundwasser. Das in unserem dicht besiedelten Land zu viel produzierte Fleisch wird in die halbe Welt exportiert.

  • Wissenschaftler schätzen, dass die für die Landwirtschaft jährlich produzierten 120 Mio. Tonnen stickstoffbetonte Düngemittel auf die Hälfte reduziert werden müssten. Das würde auch eine erhebliche Reduzierung der Tierhaltung und damit des Fleischkonsums bedeuten!

  • Nach Aussage vieler Landwirtschaftsexperten könnten viele Kulturen ganz ohne zusätzliche Stickstoffdüngung gedeihen, weil schon die Stickstoffmengen aus den Niederschlägen (ca. 30 kg/ha und Jahr) ausreichen.

Die obengemachten Aussagen entsprechen weitgehend dem Stickstoff-Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU; Link zur Kurzfassung s.u.). Als Gründe für die vielen Mißstände nennt der SRU "mangelnde Aufmerksamkeit" der Politik, das seit Jahren unwidersprochen festgestellte Umsetzungsdefizit, "Rücksichtnahme" auf Landwirtschaft und Energiebranche, unklare Zuständigkeiten sowie fehlende Koordinierung der verschiedenen Ministerien. In dieser Situation hat bekanntlich das Umweltministerium im Januar 2017 eine Reihe von Plakaten veröffentlicht, mit denen in viel zu niedlicher, verharmlosender Weise auf die gravierenden Probleme hingewiesen wird. Trotzdem gab es den bekannten Aufschrei seitens der Lobby der Agrarindustrie ("Herabsetzung eines ganzen Berufsstandes" usw.). Da die Plakate nur die Auswirkungen beschreiben, ohne die Verursacher zu nennen, heißt das, dass die Mitbürger die Probleme also nicht einmal mehr ansprechen sollen. Geht's noch?

Was ist an dieser Aussage falsch?

Hier wird noch nicht einmal gesagt, bei wem es "ins Geld geht" - nämlich nicht bei den Verursachern, sondern bei den Kunden der Wasserwerke oder beim Steuerzahler.

Link: Stickstoffgutachten des SRU 2015 (Kurzfassung) hier

7 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Umwelt

bottom of page