
Ikarus 2017

Ein Flug von Frankfurt a.M. nach Montreal im Airbus 350 verursacht pro Person 3.050 kg CO2. Das ist so viel wie ein Mittelklassewagen in 18 Monaten ausstößt. Und es ist bereits mehr als jedem Erdenbürger im ganzen Jahr zusteht, wenn wir das Klimaziel (nicht mehr als 2 Grad C) wirklich erreichen wollen.
Und trotzdem wird der Flugverkehr weiter gefördert und soll immer noch weiter ausgebaut werden.
Abendhimmel 50 km westlich von Berlin
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Österreich macht es vor
Anfang 2017 ging eine wenig beachtete Meldung durch die Medien, die uns sensationell erschien. Auch für den Flughafen Wien-Schwechat gibt es die üblichen Prognosen über wachsende Passagierzahlen und entsprechende Ausbauwünsche der Betreiber. Dafür hatte die Regierung des Bundeslandes Niederösterreich 2012 die Genehmigung zum Bau einer dritten Start- und Landebahn erteilt. Hiergegen haben mehr als 20 Bürgerinitiativen, Umweltverbände und andere geklagt. Mit Urteil vom 2.2.2017 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Klage stattgegeben und den Bau untersagt.
Die Erweiterung des Flugverkehrs würde auch die Treibhausgas-Emissionen erhöhen und damit den Klimawandel weiter beschleunigen. Nach sehr ausführlicher Gegenüberstellung von Chancen und Risiken kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Risiken überwiegen. Dabei habe der Klimaschutz in der österreichischen Gesetzgebung besonderes Gewicht. Ferner seien im Klimaschutzgesetz (!) schon die in den verschiedenen "Sektoren" (Energie und Industrie, Gebäude, Landwirtschaft, Verkehr) von 2013 bis 2020 zu erreichenden Treibhausgas-Minderungen festgelegt.
Man könne nicht den Klimaschutz in den Gesetzen als Staatsziel herausstellen, praktisch aber alleine aufgrund kurzfristiger wirtschaftlicher Überlegungen immer weitere Steigerungen der Treibhausgas-Emissionen zulassen.
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Zu früh gefreut
Schon am 29.6.2017 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Urteil als "verfassungswidrig" aufgehoben. Das BVwG habe "die Rechtslage in mehrfacher Hinsicht grob verkannt" und "den Klimaschutz ... falsch bewertet".
Zur Begründung führt der VfGH an:
- Beim "öffentlichen Interesse" seien nur die Gesichtspunkte heranzuziehen, die im Luftfahrtgesetz (von 1970!) genannt werden. Diese Interessen würden auch durch die (spätere) Benennung des Umweltschutzes als Staatsziel nicht erweitert.
- Die Treibhausgas-Emissionen seien falsch berechnet, weil sie nicht nur den Ausstoß bei Start und Landung, sondern auch den im Flug berücksichtigen. Und der Flug finde ja nicht nur über Österreich statt.
- Internationale Abkommen wie z.B. das Kyotoprotokoll seien keine Rechtsgrundlage.
Das ist der übliche Zynismus, den wir auch aus der deutschen Umweltrechtsprechung kennen. Dabei ist das Urteil des VfGH formal wohl (?) in Ordnung. Gerichte sollen nur die bestehenden Gesetze anwenden, aber nicht neue Rechtsgrundlagen schaffen. Das ist Aufgabe des Gesetzgebers. Aber was ist ein "Staatsziel", wie z.B. der Umweltschutz (in Österreich ebenso wie in Deutschland)? Antwort: Es gibt dem einzelnen Bürger keine einklagbaren Rechte, soll aber alle staatliche Gewalt verpflichten, also auch Gerichte. Dann hätte das BVwG den Umweltschutz zu Recht herangezogen.
Ähnlich verhält es sich mit den angeblich "falsch" berechneten Emissionen. Wenn ein Flugzeug in Wien startet und - sagen wir - in London landet, dann ist es nicht möglich, die Emissionen über den verschiedenen Staatsgebieten genau zuzuordnen. Das ist aber auch nicht nötig. Jeder verständige Mensch wird einsehen, dass jeder Flug mehr auch die Emissionen erhöht. Das BVwG hat diesen "Einwand" vorhergesehen und dazu bemerkt: "Global gesehen - auf das Klima bezogen - ist es auch nicht nötig, die CO2-Emissionen ortsgenau zuzuordnen" (Volltext Seite 75). Der Einwand erinnert fatal an die auch bei deutschen "Verantwortlichen" gebräuchliche Ausrede fürs Nichtstun: wie hoch der Meeresanstieg in x Jahren sein wird; ob Glyphosat "nur" Pflanzen abtötet oder auch andere Organismen schädigt, ob wirklich schon "80%" der Insekten verschwunden sind usw. Und bevor man das nicht genau weiß, könne man ja nichts tun.
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Wie geht es weiter?
Lt. Pressemitteilung des VfGH geht die Sache zurück an das BVwG, das eine neue Entscheidung treffen muss.
Wir sind besonders gespannt. Deutsche Gerichte haben bisher mit genau so zynischen Begründungen wie der österreichische VfGH jeweils die Erweiterungen von Flughäfen zugelassen (der Hessische Verwaltungsgerichtshof die vierte Landebahn in Frankfurt am Main und der Bayerische VGH die dritte Bahn in München; ebenso das Bundesverwaltungsgericht bei den Klagen gegen Kohlekraftwerke).
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Ikarus
Jüngling in der griechischen Sage. Sein Vater hatte ihm Flügel aus Bienenwachs und Federn gebaut und davor gewarnt, der Sonne zu nahe zu kommen. Der Jüngling aber wurde übermütig, flog immer höher und stürzte zu Tode.
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Links
Urteil des BVwG hier; dort auf BVwG-Erkenntnis vom 02.02.2017 klicken.
Seite des VfGH hier. Dort finden sie weitere Links zur Pressemitteilung, zu einer Kurzfassung und zum Volltext des Urteils.