Gänse an der Kute 231119
"Nur Graugänse" - von wegen! Bei unseren Recherchen sind wir - auch - bei den Gänsen auf so faszinierende Details gestoßen, dass wir einige hier wiedergeben wollen.
Graugänse waren in ihrem Hauptverbreitungsgebiet Mitteleuropa bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet (Jagd, Eiersammeln) und wurden dann erst aus Nachzuchten wieder angesiedelt. Der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz und seine Gans "Martina" haben dazu beigetragen. Heute wird ihr Bestand in Mitteleuropa auf mehr als 250.000 Tiere geschätzt. Die meisten ziehen im Winter an den Niederrhein, nach Holland und an die Atlantikküsten. Die "nordischen" Gänse, die sich dann bei uns aufhalten, gehören zu den ca. 15 Arten, die in Nordeuropa bis zur Eismeerküste brüten.
Ihr Zug - bei manchen Arten mehrere 1.000 km - verlangt nicht nur Meisterleistungen in der Orientierung sondern auch in der Logistik. Sie fressen am liebsten die Spitzen der nachtreibenden Gräser. Während die Graugänse im März hier schon brüten, sind nordische Gänse bis in den April auch noch an unserer Kute zu beobachten, weil im "Norden" noch tiefer Winter ist. Sie richten die Etappen ihres bis zu 4 Wochen dauernden Rückflugs so ein, dass sie an den Plätzen für die Zwischenrasten immer so eintreffen, dass der Schnee gerade erst seit ein paar Tagen weg ist und das erste frische Grün abgeäst werden kann. Aber zuletzt fliegen sie dann Nonstop so in ihre Brutgebiete, dass dort noch für 2-3 Wochen mit Schnee zu rechnen ist, weil dann das frische Grün erst kommt, wenn die Küken geschlüpft sind. Während der Brutzeit müssen die Elternvögel hungern; sie sitzt auf den Eiern und er beschützt das Nest.
Gänse pflegen ein sehr ausgeprägtes Familienleben auch in der Großfamilie (Geschwister); sie helfen sich gegenseitig (Kindergarten) und sie kommunizieren auch mit ihren Rufen, die nur für Menschenohren gleich klingen. Einen besonderen Einblick in das Familienleben gewährte eine besenderte Graugans. Nachdem sie in Brandenburg zusammen mit ihrem Partner den Nachwuchs so weit aufgezogen hatte, dass der Vater die Kinder auch alleine betreuen konnte, ist sie an den Neusiedlersee (Österreich, 680 km, 8 Stunden!) geflogen und von dort nach einigen Wochen wieder zurück nach Brandenburg, wo ihre Familie sie wieder in Empfang genommen hat (Der Falke, Sonderheft Wasservögel 12/2019).
Das sind die in mehreren Jahren beobachteten Zugwege der Blässgans "494" zwischen ihrem Brutgebiet an der Eismeerküste weit hinterm Ural und der Überwinterung in Bulgarien und Polen - ca. 5.000 km Luftlinie (Kruckenberg 2022). Blässgänse sind in jedem Frühjahr auch auf unserer Kute zu beobachten - da haben sie dann noch einige tausend km vor sich.
Nordische Gänse an der Kute: Blässgänse. Unverkennbar die unregelmäßigen schwarzen Streifen am Bauch; im Flugbild die auffallend langen spitzen Flügel - das Kennzeichen der Langstreckenflieger. Sie brüten an der Eismeerküste hinterm Ural - also in Asien. (c) ChrB
Nordische Gänse an der Kute: Nonnengänse (auch: "Weißwangengänse"). Unverkennbar die scharf abgesetzte schwarz-weiße Zeichnung. Sie brüten an den Nordseeküsten, auch schon an der Elbmündung. (c) ChrB